Auf dem Rio Napo nach Ecuador

Ob der junge Mann an der Rezeption des Hotels "Inka Home" auch wirklich nicht vergißt, mich um 4:30 Uhr zu wecken?

Er vergißt es nicht. Mein Gepäck steht an der Tür. Die schwere Tasche nimmt er gleich mit. Den Rest kann ich später selbst tragen. Um 5 Uhr werde ich abgeholt. Ein junger Mann in Tarnausrüstung nimmt die Tasche auf den Buckel und - was ist das? Statt des erwarteten Moto Cars steht ein Motorrad vor der Tür. Mit dem Gepäck auf ein Motorrad?

Mein neuer Freund heißt Javier. Laut Vertrag mit dem Agenten, der mir das Ticket von Iquitos bis Pantoja, dem Ort an der Grenze zu Ecuador verkauft hat, bringt mich jemand bis zum Boot am Rio Napo. Dieser jemand ist Javier.

Er legt die Tasche längs auf Tank und Lenker. Ich schwinge mich mit dem Rucksack auf dem Rücken auf den hinteren Sitz - die Hängematte baumelt am Lenker und los geht die Reise. Mittlerweile ist das mein dritter Motorradausflug in Iquitos und das macht mir richtig Spaß. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob meine Schlappen den Sicherheitsvorschriften entsprechen, aber es wird wohl gutgehen. Einen Helm habe ich - wie die meisten anderen - auch nicht.

 

Wir halten oberhalb des Hafens zwischen Marktständen. Javier nimmt leichthändig die Tasche und den Beutel mit der Hängematte. Ich habe genug damit zu tun, mich sicher den Weg über abenteuerliche Treppen mit wackeligem Geländer zum Hafen hinab zu bewegen.

Unten schwimmen etliche Boote und Unmengen von Unrat. Javier steuert unbekümmert auf eins der Schiffchen zu. Die besten Tage hat es hinter sich. Egal, die Hauptsache ist, es bringt uns sicher an den nächsten Hafen.

Der Rio Napo mündet etliche Kilometer vor Iquitos in den Solimoes, den ich seit Santa Rosa befahren habe. Du bist irritiert? Das ganze Flusssystem gehört zum Amazonas. Aber die einzelnen Zuläufe haben ihre eigenen Namen. Um den Rio Napo zu erreichen fahren wir flussabwärts.

Der Einstieg in das Boot ist vorne. Die Seiten sind offen, d.h. bei Bedarf kann eine durchsichtige Plastikfolie abgerollt werden und vor Regen schützen. Sollte das Boot überraschenderweise kentern, hängt an jedem Sitz eine Rettungsweste. Ich habe einen Außenplatz und meine Weste flattert lustig im Fahrtwind. Ein Zeitungsverkäufer quetscht sich noch kurz durch den engen Mittelgang, um einige der Mitreisenden mit der neuesten Presse zu versorgen.

Abfahrt vom Hafen in Iquitos

Nach  45 Minuten erreichen wir die Anlegestelle und fahren mit einem Moto Car über enge Straßen bis wir eine kleine Stadt mit lebhaftem Handel innerhalb und außerhalb des Marktes erreichen.

Javier verstaut mein Gepäck. Weil wir bis zur Abfahrt noch eine Stunde Zeit haben, gehen wir auf dem Markt frühstücken. Es gibt Kaffee, Brötchen mit Ei und ein gebratenes Ei extra. Auf gebratenen Fisch mit Reis und Kochbanane habe ich keinen Appetit - Javier auch nicht. Weil er fragt, ob ich genügend wirkungsvolles Repellent gegen Moskitos habe, gehen wir zur Apotheke und kaufen eine zusätzliche Flasche. Der freundliche Apotheker läßt mich auch seine Toilette benutzen. So kann ich höchst zufrieden meine Reise fortsetzen.

Javier, mein Guide, der mich hierher gebracht hat.

Danke, für Deine Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, für jede Erklärung und für jedes Lachen.

Wer dieses Wimmelbild einen Moment länger betrachtet, kann sich in etwa vorstellen, wieviel Gepäck mit uns über zwanzig Personen unterwegs ist. Auf der linken Seite hält man sich an einer der Stangen fest und ballanciert auf der unteren blauen Kante entlang und schon kann man seinen Sitzplatz erreichen.

Es sind - außer vielen anderen - drei junge Frauen an Bord, die kleine Kinder dabei haben. Eines kann erst einige Tage alt sein. Es hat wahrscheinlich die kleine Hängematte zur Geburt geschenkt bekommen. Meistens ist es glücklicher in Mamas Nähe.

Unsere Fahrt beginnt um 9 Uhr morgens. Um 17 Uhr sollen wir Santa Clothilde erreichen. Dort schlafen wir - alles im Preis inbegriffen. Am nächsten Morgen geht es um 5 Uhr  weiter. Die Endstation Pantoja wird am folgenden  Nachmittag erreicht. So sieht der Plan aus. Die Realität ist etwas anders.

Das Boot hat eine kleine Schwierigkeit mit dem Anlasser. Wenn wir das Problem mit dem Auto hätten, wären schnell ein paar starke Männer zur Stelle, die es angeschoben hätten. Im Boot ist es schwieriger. Unser Kapitän - der Vetter meines Agenturbesitzers - hat eine andere Lösung: einige Freiwillige stehen in Reihe im Mittelgang. Sie sollen auf Kommando an einem Band ziehen, das um den Anlasser gewickelt wird. Wenn sie alles richtig machen, springt der Motor wieder an. In der Theorie. In der Praxis sind viele Versuche erforderlich. Ich habe schon auf meiner letzten Reise die Geduld der Peruaner bewundert! Sie lachen und machen Bemerkungen, über die dann auch wieder gelacht wird.

Das dauert alles seine Zeit. Wir halten ziemlich oft an, weil jemand  aus- oder einsteigen möchte.

Eine junge Familie verläßt uns mitten im Nirgendwo, nur Urwald ist zu sehen. Außer ihrer kleinen Tochter haben sie einiges an Gepäck zu schleppen.

Wir kommen spät in Santa Clothilde an. Für mich als "Turista" ist alles organisiert. Der Kapitän stellt mir einen anderen Fahrgast zur Seite, der mir den Weg zu unserem Hotel zeigt. Das Gepäck kann im Boot bleiben. Ich nehme nur meinen Rucksack mit. Ich bitte meinen "Paten" mich morgen früh zu wecken, also an meine Tür zu klopfen, weil ich keinen Wecker habe. Ich bin mittlerweile eine grandiose Pantomimin und kann mich gut verständlich machen.

Ich bin sehr froh, dass ich den Computer dabei habe. Nachts ist alles stockfinster. Es gibt dann in dem Ort kein elektrisches Licht. So wird mein PC wieder zur Nachttischlampe und läßt mich die Toilette finden.

Der Rio Napo ist manchmal breit, manchmal durch Inseln schmal, aber immer sehenswert. Ich habe keine Minute bereut, diesen Weg genommen zu haben. Die entwurzelten Baumriesen, die sich im Fluss sammeln, werden irgendwann neue Inseln bilden. Im Augenblick ist der Wasserstand außergewöhnlich niedrig. Das kann ich am Ufer an Hand des hellen Streeifens erkennen.

Ist der hellere Saum erkennbar?

Die Kinder haben sich eine Schaukel mit Hilfe eines Holzstücks an einer Liane gebastelt. Bis ich das Foto machen kann, ist der Junge schon abgesprungen.

Unsere Mahlzeiten sind nach Art des Landes. Reis und Fleisch werden in einem Blätterpäckchen zubereitet. Das schmeckt richtig gut. Der Rest kann ohne Probleme über Bord gehen: Es ist kein Plastik dabei.

Der Trick mit dem Band funktioniert natürlich auch außenbords! In diesem Fall zieht sogar der Kapitän mit am Strang! Beim nächsten Halt steigt einer der Passagier - der Eleganteste - aus und verschwindet für eine Weile. Ich habe mir schon ausgemalt, dass er schnell noch einen Besuch bei jemandem macht. Doch dann erscheint er wieder auf der Bildfläche. Er schleppt einen großen Kanister Petrol. Da hätte ich ihm bald bitter Unrecht getan!!

Wir erreichen Pantoja kurz vor Einbruch völliger Dunkelheit. Ich stolpere mit meinem Gepäck und rutsche in dem Schlamm aus. Schlappen sind eben nicht in jeder Situation das geeignete Schuhwerk. Andererseits brauche ich mir nur in meinem Raum die Füße zu waschen. Schuhe wären mühevoller zu reinigen gewesen!

Den Begriff Raum habe ich absichtlich gewählt. Von außen sieht das Hotel schon einigermaßen fertig aus. Das Innere läßt da noch einige Wünsche offen. Die Wände sind sicher irgendwann verputzt worden. Farbe haben sie bis jetzt keine gesehen, dafür allerlei Flecken und Löcher. Der Boden ist Beton.

Das Bad wird sicher einmal ganz prächtig. Hier sind für die zukünftige Dusche Fliesen verlegt worden. Leider gibt es noch keine Wasserinstallation. Der Hotelier hat einen großen Kübel mit Wasser aufgestellt und ein paar Eimer zum Schütten. Dass es in der Nacht stockdunkel wird, ist schon nichts Neues mehr. Und ich habe ja den kleinen PC.

 

Ich schlafe wunderbar, werde früh wach, laufe zur Policia Federal, um den Pass stempeln zu lassen und beschaffe mir ein Boot, mit dem ich nach Rocafuerte, Ecuador, reise.

Die Reise war anstrengend aber wunderbar - auch wenn der eine oder andere  Leser des Blogs das nicht so ganz nachvollziehen können wird.