Quito

Verkehrslärm hat das Vogelgezwitscher der frühen Morgenstunden abgelöst. Der Himmel ist battle - ship - gray und ich liege noch im Bett.

Mein Zimmer ist so klein, dass ich alles vom Bett aus erreichen kann. Auch den kleinen PC aus dem gestern Abend gepackten Rucksack.

Als ich vor einigen Minuten wach wurde, hatte ich das dringende Bedürfnis, etwas über meinen Aufenthalt in Quito zu erzählen. Sofort. Erstaunlich, auf diesen Wunsch warte ich eigentlich seit Tagen!

Das kann heute Morgen nicht mehr viel werden. Es ist 6:45h, ab 7:30 h gibt es Frühstück, und gegen 8.:30 h wird das Taxi Linda und mich zum nördlichen Busterminal bringen. Trotzdem, ich fange mal an.

 

Heute ist Montag. Vor genau einer Woche bin ich, von Coca kommend, in diesem Hostel angekommen. Es ist Abend und seit Stunden dunkel. Ich habe Hunger.

Mein großes Glück ist, dass ` L` `Auberge Inn über ein kleines Restaurant neben der Rezeption verfügt. Dahin führt mich mein erster Weg - nach dem Abstellen des Gepäcks und dem Besichtigen des Bades.

 

Ein Blick aus dem Fenster zeigt alles, außer dem Hauptgebäude.

Links hinter dem für Pygmäen geeigneten Durchgang, befindet sich ein Billardtisch sowie eine kleine Bibliothek. Und hier finde ich ein Buch, das mich tagelang fesselt, jedenfalls immer, sobald ich mich im Haus aufhalte. Es heißt "Agaven am Fluß" und erzählt in über 400 Seiten die Erlebnisse einer jungen Frau, die ihrem Mann nach Ecuador folgt. Er hat Großdeutschland aus politischen Gründen kurz vor Kriegsausbruch verlassen und ist in Quito gelandet. 

Aus dem " kurz  - mal - hineinschauen" wird nichts. Ich bin so gebannt, dass es für Tage nur noch dieses Buch mit seinen erstaunlichen Geschichten gibt!

Am ersten Tag  ist mir schwindelig. Das Gefühl weckt Erinnerungen! Quito liegt in den Anden, 2800m hoch. Daran muss mein Körper sich erst gewöhnen.

Weil die Stadt in einem Längstal gebaut wurde, eingeschlossen von sich gegenüberliegenden Bergketten, befindet sich der Lebensraum der 3Mio Quitenos  zwischen einer Breite von nur wenigen Kilometern und einer Länge von fast 40 km. In der Mitte der Stadt liegt der Panecillo (kleines Brot), ein Berg, auf dem  ein riesiger Engel über Quito  wacht. Er ist konstruiert  worden aus Aluminium Teilen.

Vor dem "Brötchen" liegt das historische Quitos, das schon 1978 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Besonders die prächtigen Kirchen und Klosteranlagen werden dazu beigetragen haben. In den vergangenen Jahrhunderten sind die meisten Gebäude durch Vulkanausbrüche oder Erdbeben beschädigt und wieder aufgebaut worden. Aber an den Grundrissen der ursprünglichen barocken Stadt, die die Spanier 1534 auf den Ruinen einer Inka Stadt errichtet haben, ist nichts geändert worden.

An dem zentralen Platz, dem Platz der Unabhängigkeit, liegen sich die Gebäude, die die weltliche und kirchliche Macht symbolisieren, gegenüber. Auf dem Foto ist der Präsidentenpalast von Ecuador zu sehen.  Jeden Montagmorgen findet hier der feierliche Wechsel der Wachsoldaten statt. Als Heini und ich vor etlichen Jahren hier waren, haben wir bei so einer Gelegenheit den damaligen Präsidenten sehen können. Er stand auf dem Balkon und hielt eine Ansprache.

 

Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich der Sitz der städtischen Regierung. Das andere Paar sind Bischofspalast und Kathedrale.  Der Bischof ist allerdings mit seiner Verwaltung umgezogen in einen der modernen Stadteile. Seinen Palast  haben Restaurants und Geschäfte übernommen und nur ein kleiner Teil des Anwesens gehört noch der Kirche.

Die Stufen zur Kathedrale werden gerne als Sitzgelegenheit mit Aussicht genutzt. Wer aufmerksam hinguckt wird erkennen, dass vorwiegend die linke Seite besetzt ist. Kein Wunder, fast jeder sucht nach Schatten!

Um auf den Begriff Macht zurück zu kommen, die Bank, mit ihrem prächtigen Gebäude, ist nicht weit entfernt. Die ecuadorische Währung wurde 1884 nach dem berühmten Admiral Sucre benannt. Nach ihrem dramatischen Niedergang,  ist  der Sucre seit  dem Jahr 2000  durch den amerikanischen  Dollar als Zahlungsmittel abgelöst  worden.

 

Bei einer "Free Walking Tour" habe ich den Guide nach den wichtigsten Einnahmequellen des Landes befragt. Er  zählt auf: An vorderster Spitze steht das Öl, gefolgt von Bananen, Blumen und Tourismus. Nicht nur ich stolpere über den Konflikt zwischen zukünftiger  Ölförderung und der Hoffnung auf wachsenden  Tourismus  im Amazonasgebiet! Wer will sich an einem vergifteten Naturschutzgebiet erfreuen?

Blick in den Innenhof des jetzigen Kultur Zentrums. Bibliothek, Ausstellungräume, Museum, Treffpunkt. Alles findet statt in den Räumen, die diesen Hof umschließen.

Ursprünglich gehörte die Anlage den Jesuiten. Als ihre Ideen den weltlichen Herrschern zu fortschrittlich wurden, sind die Jesuiten für etliche Jahre enteignet worden. Ihre  Räume beherbergten anschließend eine Universität.

Die zum ursprünglichen Kloster gehörende Kirche ist die Prächtigste und Kunstvollste, die  hier zu finden ist. Gold, wohin das Auge fällt. Was mich beeindruckt ist der Gedanke, das alles an Schnitzereien, an Malereien von den Handwerkern der damaligen Bevölkerung gestaltet wurde.  Die Kunstrichtung hat ihren eigenen Namen. Escuela Quitena verbindet indigene und europäische Kunsttraditionen.

Du merkst schon meine Begeisterung für diese Stadt. Ich könnte mich dranhalten mit Fotos und Beschreibungen. Aber entweder fährst du selbst nach Quito und findest deine eigenen Highlights oder du schaust dir im Internet alles für dich Interessante an.

Ich habe beim Durchstreifen des modernen Stadtteils Mariscal einen Straßenhändler getroffen, der genau die Bilder bei sich hat, die mir schon vorher aufgefallen sind. Ich wußte aber nicht, wer der Künstler ist. Guayasamin ist sein Name, den ich jetzt nicht mehr vergessen werde. Er steht groß auf den drei  Drucken, die ich dem Händler abgekauft habe. Wir haben uns per Handschlag glücklich und zufrieden verabschiedet.

Meine anschließende Recherche hat ergeben, dass besagter Künstler der Bekannteste in Ecuador ist. Er hat mit Hilfe der UNESCO und vieler Sponsoren die Capilla de Hombre oder The Chapel of Man gebaut. Ich übersetze es mit Kapelle der Menschlichkeit. Weil ich das große Glück habe, mit Linda wieder eine wunderbare Frau kennen zu lernen, fahren wir  zusammen dorthin.

Du siehst, die Quitenos können nicht nur Alt, sondern auch Modern. Glücklicherweise haben sie es getrennt gebaut.

 

Die Capilla de Hombre ist ein fensterloser rechteckiger Bau, auf dessen Dach ein abgeschnittener Kegel steht.

Im Inneren wird der Raum als Ausstellungsfläche für seine ausdrucksstarke Kunst genutzt. Wie wir bei der englischspachigen Führung erfahren, ist Oswaldo Guayasamin drei Jahre vor Fertigstellung des Gebäudes plötzlich im Alter von 79 Jahren verstorben. Das bedeutet, dass nicht alles was sich hier befindet, von dem Künstler selbst ausgeführt wurde. Zwar sind alle  Entwürfe zu den Kunstwerken fertiggestellt,  aber die Ausführung nach seinen Skizzen und Modellen sind von anderen Künstlern geschaffen worden. Dazu gehören die beiden großen Wandbilder aus Keramik.

 

Für die Mitte, in der die Flamme brennt, wollte er ein besonderes Bild malen. Dazu ist nicht mehr gekommen. Die Familie hat sich dann dafür entschieden, die "Schale" frei zu lassen und zu seiner Erinnerung das Licht auf zu stellen.

Die Themen seiner Kunst sind vorwiegend Warnungen vor den Auswirkungen der Kriege, die egal wo auf der Erde geführt, immer Elend nach sich ziehen. Unterdückung indigener Bevölkerung, egal wo, Versklavung geraubter afrikanischer Menschen, Verhungernde. Die Beschreibung des Elends lässt sich fortsetzen. Es sind aber auch Bilder dabei, wie die zu Ehren seiner eigenen Mutter gemalten, Mütter mit ihrem Kind oder die Familie.

Diese Kunstwerke und viele Weitere an einer der Längswände, beschäftigen sich mit der indigenen Bevölkerung, Männern, Frauen und Kindern Amerikas. Viele weinen.

Nur fünf der Bilder sind komplett beendet worden. Die Anderen sind  als Wasserfarben Entwürfe ausgestellt. Zu erkennen sind die Unterschiede an der Farbgestaltung. Die Dunklen sind so wie Guayasamin sie am Ende haben wollte.

Am Ende der Führung dürfen wir Haus und Garten anschauen. Linda sucht sich für ein Erinnerungsfoto den geschmückten Lieblingsbaum Guayasamins aus, unter dem er seinem Wunsch gemäß,  beerdigt wurde und ich entscheide mich für den schlichten Pool mit dem  sowohl innen als auch aussen total verbauten Anwesen.

Den Nachmittag beschliessen wir mit einem Spaziergang durch einen der vielen Parks, die von den Familien am Sonntag geliebt werden.

Und als wir genug geschaut, geschmunzelt, Ball gespielt haben mit einer der Familien, traben wir gut gelaunt zum Hostel zurück, um den Abschiedsabend mit einem Glas Wein zu beschließen.

Morgen geht es für uns beide weiter.