Abschied am Ganges

Während ich schreibe, macht Jeff eine Wanderung am Ganges entlang. Er ist beeindruckt  vom Gesehenen. Später, auf einem gemeinsamen Spaziergang, kommen wir wieder zu einer der Verbrennungstellen.

 

Zwischen 50 und hundert Personen werden täglich von ihren Familienangehörigen zum Kremieren an den Ganges getragen. Nach festgelegten Riten werden die Verstorbenen vorbereitet. Die Zeremonie findet in aller Öffentlichkeit statt. Darum kann ich darüber berichten.

 

Auf einer Bambusbahre, geschmückt mit goldglänzenden Tüchern, wird die verstorbene Person ans Ufer des Ganges getragen. Hier wird sie fünf mal gewaschen.

Das Holz für das Feuer wird gestapelt. Der Angehörige, der das Feuer entzünden wird, ist  weiß gekleidet und seine Haare sind abrasiert.  Er wäscht sich im Ganges. Dann geht er zum Tempel, um  mit einem Strohbündel das Feuer  zu holen. Damit läuft er fünf mal um den mittlerweile auf dem Holz liegenden Angehörigen. Jetzt entzündet er das Feuer.

 

Wir haben den Angehörigen bei ihrem Abschiednehmen zugesehen. Es war sehr intim und berührend. Jeder der Männer hat den Mund des Verstorbenen mit Gangeswasser benetzt. Jeder ist vor dem Entzünden des Holzhaufens zu einem letzten Berühren des Angehörigen gekommen.

 

Kinder unter neun, Leprakranke, Schwangere werden nicht verbrannt. Sie sind ohne Sünde und werden dem Ganges, beschwert mit Steinen, übergeben.

Weil Frauen weinen,  ist ihnen nicht erlaubt an der Zeremonie teilzunehmen. Das würde den direkten Einzug des Verstorbenen ins Paradies behindern.

 

Alles was ich hier geschrieben habe, hat Jeff von einem Inder, dessen Familie seit Generationen hier arbeitet, erzählt bekommen.

Wie alles, entscheidet auch hier das Geld über den Ort der Verbrennung. Wer reich ist, wird auf einer erhöhten runden Betonplatte kremiert, der nicht ganz so Reiche liegt dicht am Ufer, siehe Foto. Für die Armen sind Metallkörbe vorgesehen, die allerdingst weiter vom heiligen Ganges entfernt stehen.

Zwei Dinge kannst du sehen auf diesem Foto: einerseits die Menschen, die entspannt auf den Ghats (Treppen) sitzen, plaudern  und schauen und andererseits einen Verstorbenen, der von seinen Angehörigen aus der Altstadt kommend, zur Verbrennungsstelle getragen wird.

Wenn du fragst, warum ich dabei zuschauen kann?  Weil es zum Leben gehört und nichts Schlimmes ist. Die Angehörigen sind traurig wie überall auf der Welt, aber der Tod gehört zum Leben wie die Geburt und die Liebe.