Bombay? Nein, Mumbai!

Die Stadt hat eine sehr lange Geschichte. Ich steige im Jahr 1534 ein. Da überlassen die muslimischen Sultane von Gujarat das Gebiet den Portugiesen.

Ihnen hat die Millionenstadt den ursprünglichen Namen zu verdanken. Sie nennen die Siedlung auf sieben Inseln Bom Bahai. Daraus wird später Bombay.

Schon 1661 kommen die Inseln unter englische Regentschaft. Nicht durch Krieg, sondern als Mitgift der Katharina von Braganza, die Karl II. von England heiratet. Die englische Regierung verpachtet das Land für Kleingeld an die Ostindische Kompanie.

Bombay entwickelt sich in der Zukunft rasant zu einem Gewinn bringenden Handelshafen.

Durch Landgewinnungsprozesse entsteht eine große Insel, die den Lebensraum für jetzt mehr als zwanzig Millionen Menschen bietet.

Zu kolonialer Blüte entwickelt sich die Stadt, nachdem die Festungsmauern 1864  nieder gerissen werden. Jetzt entstehen pompöse Gebäude, die uns heute noch staunen lassen. Dazu gehört unter anderem der Bahnhof Victoria Terminus, der jetzt Chhatrapati Shivaji Terminus, kurz CST heißt.

Wer will es den Indern verdenken, dass sie sich nach dem Abschied von der englischen Kolonialherrschaft auch von Städtenamen trennen, die nicht  ihre eigene Geschichte wiederspiegeln? So erhält Bombay im Jahr 1996 einen neuen Namen. Mumbai.  Der Name ist abgeleitet von der Göttin Mumba, die zu Urzeiten von  Fischern auf den sieben  Inseln  verehrt wurde.

So schließt sich der Kreis und wir können einen gewaltigen Sprung in die Gegenwart tun.

 

Jeff graut es vor Mumbai. Er hat vor vielen Jahren eine seiner Indien Reisen hier beendet und schlimme Erfahrungungen sowohl  mit aufdringlichen Taxifahrern als mit überteuerten Hotels in heruntergekommener Umgebung gemacht. Ich habe ihm vor Antritt unserer gemeinsamen Reise versprochen, weder Delhi noch Mumbai ansehen zu wollen. Und jetzt sind wir doch hier. Aber nur, weil wir für unsere Heimreise  einen Internationalen Flughafen benötigen.

 

Um den zu erreichen, sind wir den ganzen Tag unterwegs.

Mit einem Taxi  geht es von Calangute nach Thivim, einer Bahnstation an der Strecke nach Mumbai. Dann folgt eine 12 stündige Bahnfahrt.

Wir sind nicht die Einzigen auf dem Bahnsteig in Thivim!

Die schwere Diesellok fährt ein - und fährt und fährt, bis sie endlich ihre zahlreichen Wagons an der richtigen Stelle platziert hat.

Die Passagiere haben laut Fahrplan nur zwei Minuten Zeit zum Einsteigen.  Das Wichtigste ist, dass man vorher sein Ticket studiert, den oft wiederholten Lautsprecheransagen lauscht, vielleicht noch den einen oder anderen Fahrgast durch Nachfragen belästigt, auf jeden Fall den Zug an der Stelle besteigt, wo sich der gebuchte Sitz befindet!

Ja, mein lieber Freund, du hast gut lachen, unser Abteil ist leer. Wir machen uns auf den Pritschen lang und können mehr als eine Stunde schlafen. Dann wird es voll, auch in unserem Abteil.

Weil wir die Fensterplätze haben, kommen wir in den Genuss der Ablage und können Skip Bo spielen. Du gewinnst schon wieder!

Die Landschaft fliegt an uns vorbei.

Und wieder geht die Sonne unter.

Der Ausblick von der 5. Etage unseres Hotels mit dem pompösen Namen "Hotel City Palace".

Auf der rechten Seite sind Türmchen und Kuppeln im Hintergrund zu erkennen. Das muss der berühmte Bahnhof sein, der zum Weltkulturerbe gehört.  Und was mag das für eine Kirche sein, die gerade noch auf der linken Seite ins Bild spitzt?

 

Wenn ich mich etwas weiter aus dem Fenster lehne, kann ich die Kirche in ihrer ganzen Pracht bewundern. Das schauen wir uns jetzt alles an.

Du kannst sicher meine Überraschung verstehen, als ich einen Passanten nach dem Namen der Kirche frage, er mich erstaunt ansieht und meint, das ist keine Kirche, das ist der Bahnhof. Und auf meine Frage nach dem Gebäude mit den vielen Kuppeln auf dem Dach, meint er, das sei die Post!

Au weia, da habe ich mich ja gründlich geeirrt.

 

In der Bahnhofshalle: Ein nie versiegender Strom von Reisenden.

Blick in die "Kirche": Es ist die Schalterhalle.

Sogar Jeff hat sich versöhnt mit unserem Aufenthalt in Mumbai. Er macht Fotos von der wohl berühmtesten Fahrkarten Verkaufsstelle der Welt.

Die Fußböden glänzen zu jeder Zeit. Hier ist der Bahnhof das Aushängeschild der Stadt. Das ist noch genauso wie zu der Zeit, als der Prachtbau des Kolonialismus 1887 fertiggestellt wurde.

Und das ist die Post, die ich versehentlich zum Bahnhof ernannt habe.

Wir hätten  uns sehr gerne das Gebäude von innen angeschaut, aber die beiden bewaffneten Polizisten sind noch zäher als ich und wissen das zu verhindern.

Mit einem Taxi lassen wir uns zu einem anderen Wahrzeichen Mumbais bringen, dem Gateway of India.

Das Foto entsteht nachdem wir die strengen Kontrollen hinter uns haben. Seitdem es in den letzten Jahrzehnten aus politischen und  religiösen Gründen immer wieder zu Attentaten und Aufständen gekommen ist, die  Hunderte Leben gekostet haben, befindet sich jetzt an öffentlichen Gebäuden und Sehenswürdigkeiten verstärkte Polizeipräsenz.

Ist das Tor nicht herrlich? Was für eine Steinmetzkunst! Die Öffnungen erinnern mich an mit kostbaren Spitzen geschmückte Fenster.

Das Gate ist 1924 zu Ehren des Englischen Königs, der Mumbai 1911 besucht, gebaut, bzw. fertiggestellt worden.

Es ist ein beliebter Treffpunkt der Inder - natürlich auch der Touristen.

Der Blick auf den kleinen Hafen ist nett. Sicher ist er noch netter wenn es nicht dunstig ist.

Ich hätte gerne einen Ausflug auf die Insel Elephanta gemacht, aber dafür sind wir zu kurz hier. Wir beschließen, eine Tour durch die Stadt zu machen und einigen uns mit einem der zahlreichen Schlepper auf einen annehmbaren Preis.

Aber vorher lade ich Jeff ins Hotel Taj Mahal Palace ein. Nicht zum Schlafen, nur zu einem Kaffee! Dieses prächtige Wahrzeichen der Stadt ist 1903 von dem Industriellen J.N. Tata gebaut worden. Ich lese, dass ihm als "Eingeborenen" das Betreten europäischer Hotels verboten war. Rassismus lässt grüßen.

Im Zentrum der eleganten Lobby steht dieser Tisch, dekoriert  mit kostbaren Silbergefäßen und farbigem Glas.

 

Die Preise für Kaffee und Saft sind mit denen in unserer Heimat zu vergleichen. Ich muß gestehen, dass ich beim Blick auf die Rechnung erschrecke. Soviel hat unsere Unterkunft in Calangute pro Nacht gekostet!

Das Hotel Taj Mahal Palace in seiner ganzen Pracht

 


Gegensätze können kaum größer sein. Eben noch im Luxushotel und jetzt, gar nicht weit entfernt, im Mahalaxmi Dhobi Ghat. Es ist der größte Wäsche-Wasch-Platz in Mumbai. Die Anlage ist mindestens 150 Jahre alt. 1026 gemauerte Waschzuber warten auf Wäsche. Viele Männer finden hier Arbeit und können von ihrem Verdienst ihre im Umfeld des Dhobi Ghat lebenden Familien versorgen. Stolz werden mir die unter einem Dach stehenden uralten Industrie - Waschmaschinen vorgeführt. Selbst Trockner gibt es!

Hier rückt ein sexy Wäscher Jeans zu Leibe. Waschen ist traditionell Männerarbeit.

Unser nächstes Ziel sind die Fischer. Unser Weg dorthin führt uns an dieser Siedlung vorbei. Offiziell ist es ein Slum. Einer von vielen. Hier gibt es alles, nur nicht so perfekt wie in anderen Stadtteilen. Auch ein Slum gibt tausenden von Menschen Sicherheit und Geborgenheit - auf jeden Fall ein Dach über den Kopf.

Hier, in der Fischer Siedlung, werden auch Boote gebaut.

Gut, dass alle 6 Stunden die Flut kommt. Dann können nicht nur die Fischerboote in See stechen, sondern auch ein Teil des Unrats wird weggespült.

Kilomterlang zieht sich die Straße am Meer entlang. Die Sicht ist nicht klar, aber man kann die Skyline von Mumbai erahnen.

Ich lese, dass die Stadtbewohner diese Strecke lieben und zum abendlichen Flanieren nutze. Und nirgendwo sind Sonnenuntergänge dramatischer als über dem Meer.

Wir kommen leider nicht in den Genuss eines abendlichen Bummels am arabischen Meer. Wir haben andere Pläne. Es geht in ein paar Stunden Richtung Flughafen. Mumbai ist die letzte Station.

Wir sind hungrig. Ein kleiner Snack wäre jetzt genau das Richtige. Wir haben Glück und stoßen zwischen zwei Besichtigungsterminen auf einen "Fliegenden Händler".  Ich habe jetzt beim Schreiben noch Erinnerung an diesen leckeren Snack auf meiner Zunge.

Auf die Pappteller kommen 5 Mini Cracker, auf denen je eine Scheibe Pellkartoffel platziert wird. Als nächstes wird der vorbereitete Salat aufgehäuft. Dann wird gewürzt aus zweierlei Flaschen. Zum Schluss werden ganz feine Nudeln über den Teller gestreut.

Unsere Hilflosigkeit bemerkt der Händler glücklicherweise gleich. Er gibt uns zwar kein Besteck, aber zeigt uns, dass wir nur die Cracker ertasten müssen und wenn wir den Teller unters Kinn halten, kann gar nicht viel passieren!

Ein Wasserwerk hat sein Gebäude mit einer Dachterrasse ausgerüstet. Hier haben wir Gelegenheit, die Stadt von einer sehr ansprechenden Seite zu sehen. Wasser, Strand, in der Ferne die Promenade und viel Grün. Die Hochhäuser bilden oben den Abschluß.

Ganz so wie es aussieht, ist es nicht. Der Strand wird nicht genutzt, weil das Wasser in dieser Bucht viel zu schmutzig ist. Kein Wunder, dass wir an den Stränden in Goa so viele Familien aus Mumbai getroffen haben!

Hier statten wir einem Jain Tempel einen Besuch ab. Wer seine Schuhe vor dem Eingang auszieht und seine Schultern bedeckt, ist herzlich eingeladen zu beten, zu schauen, zu lauschen, sich zu sammeln, ja, auch zu fotografieren.

Eine der wichtigsten Regeln des Jainismus ist die Gewaltlosigkeit. Damit wären wir bei Mahatma Gandhi, dem wohl weltweit am meisten verehrten Vertreter von Gewaltlosigkeit.

Unserer letzte Tour Station ist das Haus, in dem Ghandi während seiner zahlreichen Aufenthalte in Mumbai gelebt hat.

Eine Gedenktafel - leider verdeckt durch den Baum - weist auf die Besonderheit des Hauses hin.

Eindrucksvolle Fotos führen uns durch das bewegte Leben des großen Mannes und damit durch einen Teil indischer Vergangenheit.

Ghandi ist es, der 1942 hier in der Stadt seine Quit - India Bewegung startet. Vor meinem inneren Auge tauchen sofort die Fotos der späteren Teilung Indiens auf, die wir vor Wochen im Museum in Amritsa gesehen haben. All die Toten, die Entwurzelten, die Verlorengegangenen, die Verhungerten!

Das Ehepaar Ghandi in jungen Jahren.

Die Fotos führen uns durch sein Leben. Ich lese jedes Wort. So treffe ich auf den Brief, den er  Hitler geschrieben hat.

Als Antwort können wir den Krieg ansehen, der kurz darauf begann.

 

Die Ausstellung beeindruckt mich sehr. Sollte ich es schaffen noch einmal hierher zu reisen, steht dieses Haus mit seinen emotionalen, politischen und gesellschaftlichen Antworten auf meiner Besichtigungswunschliste.

 

 

Die letzte uns verbleibende Stunde verbringen wir in der Nähe unseres Hotels.

In dieser Straße ist erstaunlich wenig Verkehr. Es ist fast ein Marktbetrieb zwischen den geparkten Autos.

Wir schlendern zwischen parkenden Autos, abgestellten Motorrollern und Fahrrädern an den verschiedenen Angeboten vorbei, betrachten die Häuser, die zum Teil noch Reste vergangener Pracht zeigen und kehren das letzte Mal in ein Restaurant mit Bar ein. Das letzte Kingfisher ist fällig - geteilt wie immer. In der Speisekarte entdecke ich " Bombay Duck".  Das ist so etwas wie "Halber Hahn" in Köln.  Nicht ganz natürlich. Der angeblich halbe Hahn ist eine Brötchenhälfte mit Käse und die Bombay Ente ist Fisch! Jeff hat mich vor langer Zeit gefragt, ob ich dieses Gericht kenne. Natürlich nicht. So kann ich ihm jetzt mit meiner Entdeckung eine große Freude machen. Wer hätte gedacht, dass wir zom Abschied von Indien drei fette Fische vorgesetzt bekämen??

Bombay Duck mit Kingfisher Bier. Dann mal PROST

Was noch bleibt ist der Abschied. Abschied auf der ganzen Linie: von Mumbai, das ich sehr gern näher kennengelernt hätte.

Von Indien, diesem vielschichtigen Land mit reizvollen Landschaften, viel zu lautem Verkehr, unglaublichen Kunstwerken, heiligen Kühen, die wie jede nicht heilige Kuh die Straßen zuscheißen,  den heiß gewürzten Gerichten, Straßenhunden - in großen Städten friedlich schlafend, den bunten Märkten, den wahnsinns Zügen, den fantastischen Stränden

und vor allen Dingen von den freundlichen und immer wieder hilfsbereiten  Indern.

 

Der letzte Abschied am Flughafen fällt mir besonders schwer. Wir sind ein Vierteljahr zusammen gereist, haben das meiste gemeinsam erlebt, zusammen gelacht, gespielt, gewonnen und verloren. Und jetzt ist das vorbei. Oder?

Diese Reise ist beendet, aber der nächste Winter kommt und dann reisen wir wieder. Zusammen.